NEW WORK – Mit Achtsamkeit das „beste Selbst“ finden und zur Arbeit bringen
Neue Formen des Arbeitens im Homeoffice fordern auch den Pharma-Riesen Novartis heraus. Dr. Urs Karkoschka, Leiter Human Performance Innovation bei Novartis International AG erlebt, gegenwärtig eine erhöhte Nachfrage nach Mindfulness-Coachings, Meditationen und Achtsamkeitstrainings bei den Mitarbeitenden und möchte die Human Performance durch diese Angebote generell steigern.
Herr Dr. Karkoschka, was wären Ihre Kernbotschaften im Stettler-Seminar „New Work“ gewesen?
Wir müssen die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden stärken und sie dabei nachhaltig unterstützen, ihr „bestes Selbst“ zu finden und zur Arbeit zu bringen. Dazu brauchen sie ein breites Angebot an Tools, Strategien, Checklisten, Webinaren und Hilfestellungen von Seiten der Firma.
Ihr Angebot ist sehr vielseitig, wie kann die Human Performance durch diese Angebote erhöht werden?
Das Ziel ist, die Achtsamkeit zu entwickeln, damit die Mitarbeitenden sich selbst besser kennen lernen. Ohne Achtsamkeit gibt es keine Veränderung und wir müssen uns ständig verändern. Sei es weil der Lockdown wegen COVID-19 einen komplett neuen Tagesablauf mit neuen Routinen erforderte, oder weil wir uns aus eigenem Antrieb verändern wollen, wie zum Beispiel mehr bewegen, gesünder essen oder mehr und besser schlafen wollen.
Das heisst, Sie unterstützen die Mitarbeitenden dabei, ihr eigenes individuelles Stressmanagement zu entwickeln?
Genau, da sind wir stetig dran. Wir alle kennen Stress, den positiven aber auch den negativen Stress. Um den Unterschied zu erkennen und dann entsprechend handeln zu können, benötigen wir Achtsamkeit gegenüber uns selbst, ansonsten besteht die Gefahr, dass wir „ausbrennen“ können. Selber frühzeitig zu spüren, wann eine Veränderung stattfinden muss, das ist der erste Schritt im Stressmanagement. Unsere vielfältigen Mindfulness-Angebote sollen dabei helfen.
Woran können wir erkennen, dass der negative Stress überhandgenommen hat?
Müdigkeit, Gereiztheit, Konzentrationsverlust, Unzufriedenheit, Motivationslosigkeit, das sind sicher einige wichtige Alarmsignale. Aber letzten Endes äussert es sich bei jedem unterschiedlich, das ist die besondere Herausforderung an unsere Führungskräfte.
Als erster Schritt also das Alarmsignal erkennen und dann?
Grundsätzlich versucht unser Gehirn gewisse Abläufe oder Verhaltensweisen routinemässig zu wiederholen (Autopilot), denn das spart Energie für wichtige andere Ereignisse. Leider trifft das auch auf solche Verhaltensweisen zu, die uns langfristig schaden.
Daher müssen wir lernen, den Autopilot auszuschalten und das Steuer selbst zu übernehmen. Das bedeutet, wir müssen unsere Gewohnheiten hinterfragen und uns ggf. neue gute Gewohnheiten aneignen, solche die den Arbeitsalltag und unsere Zufriedenheit langfristig positiv prägen.
Und was sind die neuen guten Gewohnheiten, die den Arbeitsalltag langfristig positiv prägen?
Wir haben 5 Säulen, die wir betrachten: Ernährung, Bewegung, Einstellung, Erholung und Selbsterkenntnis. Die Selbsterkenntnis ist essenziell, denn sie gibt uns die Möglichkeit, uns selbst zu regulieren und alle anderen Säulen optimal zu gestalten.
Das klingt nach Transformation – alte Gewohnheiten verlernen und neues Verhalten erlernen…
Richtig. Wir dürfen und sollen uns alle verändern, um gesünder, kraftvoller, vitaler und freudiger während der Arbeit, aber auch zuhause durchs Leben zu gehen. COVID-19 hat uns alle durchgeschüttelt und zum grundsätzlichen Nachdenken angeregt. Über die gegenwärtige Krise hinaus suchen wir nach Lösungen, die für alle besser sind, für die Mitarbeitenden, die Führungskräfte, aber auch für die Familien zuhause. Es darf nicht sein, dass die Mitarbeitenden am Ende des Tages ausgelaugt sind und keine Energie mehr haben für die eigenen Familien oder Freunde.
Können Sie uns ein konkretes Insider-Tool verraten, das die Human Performance steigert?
Unsere Mitarbeitenden sind „Corporate Athletes“, wobei die tägliche Belastung in der Arbeitswelt um ein Vielfaches höher als bei einem Sportler ist, der nur eine Disziplin verfolgt. Wir nutzen z. B. bewährte Methoden aus dem Sportbereich, die dabei helfen, sich bewusst und konzentriert z. B. auf Meetings vorzubereiten. Ein sehr wirksames Tool sind gemeinsame Minuten vor Beginn eines Meetings. Dieser Zeitraum der Ruhe, in dem man auch mental ankommt, in sich geht und für sich überlegen kann, mit welcher Absicht man in das Meeting geht. Das gibt den Meetings eine neue Qualität insbesondere auch für die Lösungsfindung und die Umsetzung der Ziele.
Rund 105‘000 Mitarbeitende in der Veränderung zu begleiten – haben Sie da eine bestimmte Stressma-nagementformel entwickelt?
Stressmanagement ist sehr individuell. „One size fits all“ funktioniert nicht und wir können nicht auf alle individuell eingehen. Deswegen ist es absolut essenziell, dass die Mitarbeitenden sich selbst besser kennen lernen. Und das wiederum hat mit Selbstverantwortung zu tun.
Stichwort Selbstverantwortung, da nimmt Novartis eine Vorreiterrolle ein, nicht zuletzt mit dem freiwilligen Homeoffice-Modell „Choice with responsibility“. Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass Ihre Mitarbeitenden ihre Eigenverantwortung wahrnehmen werden?
Wir haben keine solche Sicherheit, doch die erste Phase hat gezeigt, dass sich die Zufriedenheit und das Engagement der Mitarbeitenden erhöht hat, da sie selber entscheiden können, wie, wo und wann sie arbeiten wollen. Aber auch die Verantwortung, die zusammen mit dem Team und dem Line Manager gesetzten Ziele planmässig zu erreichen, liegt bei dem Mitarbeitenden.
Wir leben die „Unboss“- und „Servant-Leadership“-Philosophie, das Konzept der „Patron-Führung“ hat ausgedient. Wir brauchen mündige, selbstständige Mitarbeitende, denn sie wissen meist im Detail besser als der Vorgesetzte, was zu tun ist. Die Führungskräfte sind dazu da, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und dem Team alle Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, damit es erfolgreich sein kann. Durch COVID-19 hat sich vieles verändert, die Vorgesetzten hatten nicht mehr die „alte“ Kontrolle und die Mitarbeitenden haben mehr Selbstverantwortung übernommen, ein interessantes Phänomen, das unsere Philosophie auf die Probe gestellt und bestärkt hat.