Kosten-Diskussion blendet unverzichtbaren Nutzen der Labordiagnostik aus
Die Bedeutung der Labordiagnostik wird in der Diskussion über Gesundheitskosten oft übersehen, obwohl sie die Grundlage für rund 70 Prozent der medizinischen Therapieentscheidungen bildet. In der Stettler Interview-Reihe „Schweizer Interessensverbände“ erläutert Peter Biedermann, Geschäftsführer des SVDI, die aktuellen Herausforderungen der Branche, den Fachkräftemangel sowie den Beitrag der Labordiagnostik zur Steigerung der Kosteneffizienz im Gesundheitssystem. Er gibt zudem Einblicke in seine Visionen für die Weiterentwicklung des Verbandes.
Peter Biedermann, was brennt Ihnen aktuell am meisten unter den Nägeln?
Aktuell stören uns die undifferenzierten Diskussionen über die Kosten der Labormedizin. Weiter zeigen die neusten Zahlen, dass die Kosten der Labordiagnostik um über 12 Prozent gestiegen sind. Aus Sicht der Industrie ist diese massive Steigerung nicht nachvollziehbar. Der Umsatz unserer Mitglieder wächst, bereinigt um die aussergewöhnlichen Coronajahre, jährlich um knapp ein Prozent. Zudem wird fast ausschliesslich über Kosten gesprochen, jedoch kaum über den Nutzen der Labordiagnostik.
Als Verband haben Sie eine Marktstudie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der In-vitro-Diagnostik-Branche in der Schweiz durchgeführt. Welchen Nutzen der Diagnostikbranche können Sie daraus ableiten?
Rund 70 Prozent der medizinischen Therapieentscheidungen basieren auf den Ergebnissen der Diagnostik. Gleichzeitig macht die Labordiagnostik nur zwei Prozent der gesamten Gesundheitskosten aus. Sie ist also weder ein Kostentreiber noch Selbstzweck, sondern essenziell, um frühzeitig die richtigen medizinischen Entscheidungen treffen zu können. Das betrifft sowohl die nächsten Behandlungsschritte als auch die Entscheidung darüber, welche Therapien unnötig sind. Die Labordiagnostik hilft, den Erfolg von Therapien zu prüfen und falsche Therapieentscheidungen zu vermeiden, was letztlich Kosten spart. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Labordiagnostik ist erwiesenermassen äusserst vorteilhaft.
Sie waren die letzten sieben Jahre Geschäftsführer bei Swiss Medtech und seit Juli 2024 führen Sie den SVDI. Was ist für Sie an Ihrer neuen Aufgabe besonders spannend, und worauf freuen Sie sich in dieser Rolle?
Der SVDI wurde bislang allein durch die Vorstandsmitglieder geführt, also im reinen Milizsystem. Dies bringt den grossen Vorteil mit sich, dass die inhaltlichen Argumente des SVDI von Experten stammen und auf realer Praxiserfahrung basieren. Deshalb geniesst der SVDI in der Politik, bei den Behörden und den Partnern ein hohes Ansehen. Mit meinem Engagement werde ich nun die Professionalisierung der Verbandsarbeit voranbringen und Entlastung für einzelne Vorstandsmitglieder schaffen. Dies weiterhin mit Einbezug der fachlichen Expertise im Vorstand. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Wert der Diagnostik, der auch innerhalb des Gesundheitswesens weitgehend unbekannt ist. Diese Wahrnehmung zu ändern, spornt mich an, da ich persönlich uneingeschränkt vom Wert der Laborindustrie überzeugt bin.
Die Labordiagnostik spielte während der Corona-Pandemie eine zentrale Rolle. Welchen Herausforderungen steht die Labordiagnostik heute, zwei Jahre nach der Pandemie, gegenüber?
Die drei zentralen Herausforderungen sind der anhaltende Spardruck im Gesundheitswesen, die Kündigung des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen MRA mit der Europäischen Union und die Einführung der neuen Verordnung über In-vitro-Diagnostika. Diese drei Umstände beschäftigen sowohl unsere Industrie wie auch die Labordienstleister stark. Es stehen weniger Tests zur Verfügung und die Wirtschaftlichkeit der Branche steht auf dem Spiel. Labore müssen ihre Angebote überdenken, da bestimmte, oft sehr spezialisierte Diagnosetests, wie etwa für seltene Krankheiten, wirtschaftlich nicht mehr rentabel oder gar nicht mehr verfügbar sind. In extremen Fällen drohen Laborschliessungen, besonders in ländlichen Gebieten, was die Versorgungslage empfindlich verschlechtern würde.
Wie sieht es aus mit dem Fachkräftemangel?
Der Fachkräftemangel ist ein Problem, insbesondere der Mangel an biomedizinischen Analytikerinnen und Analytikern. Diese Fachkräfte sind stark gefragt, doch freiwerdende Stellen können nur schwer oder gar nicht besetzt werden. Dies kann dazu führen, dass die Qualität der Analyseergebnisse leidet, was wiederum das Risiko für Fehldiagnosen erhöht – mit direkten Auswirkungen auf die Gesundheit der Patientinnen und Patienten.
Was kann getan werden, um die Herausforderungen der Branche langfristig zu bewältigen?
Es gibt keine einfache Lösung, da das gesamte Gesundheitswesen unter Spardruck steht. Wichtig ist jedoch, den Nutzen der Diagnostik wieder verstärkt in den Vordergrund zu stellen. Die Labordiagnostik spielt eine entscheidende Rolle für die Qualität unseres Gesundheitssystems und hilft, unnötige Eingriffe und Therapien zu vermeiden. Es muss gelingen, die Fehlanreize zu eliminieren und zu erhalten, was wir alle sehr schätzen – das Schweizer Gesundheitswesen mit seiner herausragenden Qualität.
Die Zusammenarbeit mit der Politik, sowohl in der Schweiz als auch in Europa, ist ein wichtiger Bestandteil der Verbandsarbeit. Welche aktuellen Themen sind derzeit besonders relevant?
Ein sehr relevantes Thema ist, wie bereits erwähnt, die neue Verordnung über In-vitro-Diagnostik (IvDV). Gemeinsam mit Swissmedic und dem BAG arbeiten wir daran, eine pragmatische Umsetzung dieser Verordnung in der Schweiz sicherzustellen. Zudem wird aktuell die für uns wichtige Analyseliste überarbeitet. Als Teil des Gremiums setzen wir uns für gezielte Anpassungen einzelner Tarifpositionen ein. Unsachgemäss sind lineare Kürzungen von ganzen Analysegruppen.
Wie soll sich der SVDI in den nächsten fünf Jahren weiterentwickeln?
Wir befinden uns derzeit in einem Strategieentwicklungsprozess, bei dem wir unser Umfeld, die technologischen Trends und die relevanten regulatorischen Entwicklungen genau analysieren. Themen wie die Genomsequenzierung, die Digitalisierung und die ökologische Nachhaltigkeit spielen dabei eine zentrale Rolle, da sie einen direkten oder indirekten Einfluss auf die Zukunft der Diagnostik haben. Unser Ziel ist es, herauszufinden, welche Rolle der SVDI in diesen Bereichen einnehmen wird. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse, die voraussichtlich Mitte 2025 vorliegen werden.
Was sind Ihre langfristigen Visionen für die Diagnostikindustrie?
Ich setze mich dafür ein, dass Patientinnen und Patienten in der Schweiz durch hochspezifische und hochsensible Tests für möglichst alle Krankheitsbilder untersucht werden können und dabei verlässliche Diagnosen erhalten. Produkte von Schweizer Diagnostikunternehmen sollen Patientinnen und Patienten auf der ganzen Welt zu fairen Preisen angeboten werden können. Ein weiteres persönliches Anliegen ist mir, dass unsere Industrie ihre Verantwortung bei der Dekarbonisierung wahrnimmt und bis spätestens 2050 klimaneutral arbeitet. Angesichts unseres vergleichsweise grossen CO2-Fussabdrucks müssen wir Verantwortung übernehmen.
Zu SVDI/ASID: Der SVDI ist ein Wirtschaftsverband, der aus Mitgliedern der Diagnostikindustrie besteht und deren gemeinsame Interessen vertritt. Der SVDI übernimmt im wirtschaftlichen und politischen Umfeld des Gesundheitswesens eine aktive Rolle und unterstützt seine Mitgliedsunternehmen bei regulatorischen Fragen und informiert über wichtige Änderungen im Marktumfeld.
Gründung: 1991
Anzahl Mitglieder: 40